CORD MEIJERING COMPOSER

"No man ever steps in the same river twice" (Heraclitus)

Elisabeth.Ikone - program notes

Tomasz Kajdanski und ich arbeiten nun bereits seit zehn Jahren zusammen.

Es begann 1997 mit KASPAR HAUSER - unserem ersten gemeinsamen Werk für Tanztheater – anlässlich der Eröffnung der 15. Bayerischen Theatertage im Landestheater Coburg. Eine erweiterte Fassung entstand 1999 für das Volkstheater Rostock.

In den Jahren seit KASPAR HAUSER blieben Tomasz Kajdanski und ich in regelmäßigem, freundschaftlichem, brüderlichem, meist telefonischem Kontakt. Verschiedene Stoffe für ein neues Ballett wurden gefunden, sie wurden geprüft und wieder verworfen.

Als Tomasz Kajdanski mir eines Tages vorschlug, ein neues Werk für Tanztheater anlässlich des Geburtstages der Heiligen Elisabeth von Thüringen zu komponieren, war ich vollkommen ratlos. Ich sah mich konfrontiert mit einer Welt, die mir fremd war, - so fremd, dass sie mich noch nicht einmal faszinierte.

Nach längerer Zeit des Überlegens ließ ich mich schließlich auf den Stoff ein. Der wahre und einzige Grund für diese Entscheidung ist, dass Tomasz Kajdanski mir versicherte, dass mich die Geschichte der Heiligen Elisabeth faszinieren werde.

Wie so oft liegt eben in den Dingen, die einem zunächst fremd erscheinen, ein großes Verwandlungspotential. So war es auch diesmal. Ich begann damit, mir einige Verhaltensmaßregeln aufzuerlegen: Ich wollte versuchen zu verstehen, nicht versuchen zu deuten oder gar zu erklären. Ich wollte beschreiben was ich wahrnahm, was ich erkannte. Ich wollte weder erklären noch interpretieren.

Das, was einem unverständlich ist verstehen wollen ist das, was bereichert.

Elisabeth kam mir vor wie ein Mensch aus einem anderen Land, einem anderen Kontinent, einer anderen Welt. Neudeutsch gesagt: sie war eine MIGRANTIN und somit eine AUFFORDERUNG ZUR VERWANDLUNG.

Erst allmählich bemerkte ich eine Gemeinsamkeit zwischen KASPAR HAUSER und ELISABETH.IKONE.: Beide Werke stehen in der Tradition des Mysterienspiels. Die Inszenierungen der Werke verhalten sich komplementär zueinander: Kaspar Hauser, eine weltliche Figur, geprägt vom unermesslichen Leid, das ihm von seiner Welt zugefügt worden war, fand seine Uraufführung in den sakralen Räumen von St. Moritz in Coburg und der Nicolaikirche zu Rostock – ELISABETH.IKONE, eine Heiligenfigur, geprägt vom unermesslichen Leid, das Anderen in ihrer Welt zugefügt worden war, betritt die Bühne eines weltlichen Theaters.

Es dauerte nicht lange, und die Geschichte der Heiligen Elisabeth schlug mich in Ihren Bann. Ich wurde mir plötzlich darüber bewusst, dass sich in den vielen Jahren meines musikalischen Suchens Musiken, historische Begebenheiten, Gedichte und Erzählungen angesammelt hatten, die nur darauf warteten zu einer Geschichte zusammengeführt zu werden: Schon in den frühen 80iger-Jahren - meiner Trierer Zeit - verbrachte ich viele Stunden täglich in der dortigen Universitätsbibliothek und erforschte die Musik des Mittelalters, insbesondere die der Troubadours, der Trouvéres, der Minnesänger und die Gesänge der Notre Dame Epoche mit ihren Großmeistern Leoninus und Perotinus.

Die Lektüre der Essays und der Cantos des amerikanischen Dichters Ezra Pound, insbesondere seine Abhandlungen moz el son (Wort und Weise) über die südfranzösische Troubadourdichtung wurden zu Konstanten in meinem Denken in Musik, Literatur und Kunst und Kultur im Allgemeinen.

Später - viel später - erwarb ich im Kriminalmuseum von Rotenburg ob der Tauber einige Drucke aus der Manessischen Liederhandschrift, die im Original in der Heidelberger Universitätsbibliothek aufbewahrt ist. Die Bildnisse der Minnesänger aus dieser Handschrift hängen seit vielen Jahren an den Wänden meiner Wohnung. All diese Sänger warteten. Sie warteten auf Tomasz Kajdanskis Aufforderung die Heilige Elisabeth zu komponieren. Sie warteten und forderten auf.

ELISABETH.IKONE ist für mich ein Sinnbild für DAS IRRITIERENDE DER ANDERSHEIT.

Es gibt zwei Wege:

Auf dem ersten versuche ich den Anderen auf meinen Weg zu bringen, ihn von mir und meiner Kultur zu überzeugen. Es ist der harte und der sich verhärtende Weg der Ignoranz.

Auf dem zweiten Weg versuche ich die Andersheit des Anderen zu verstehen, von seiner Andersheit zu lernen, mich mit seiner Andersheit zu vermählen. Es ist der weiche und sanfter werdende Weg der Intelligenz.

Elisabeth.Ikone ist eine Ausländerin. Fürchtet Euch nicht! Sie birgt viel Verwandlungspotential!

Sich-Verwandeln heißt sich des Eigenen Ichs bewusst werden, heißt Künstler sein.

Ignorant-Sein heißt: in den Kreuzzug ziehen, das Eigene Ich verlieren.

Teile dem autoritären Ich-Verlustigen niemals mit, dass er einer ist! Versuche ihn auf den weichen Weg der Intelligenz zu führen!

Post Scriptum:
Ich verstehe nicht – und ELISABETH VON THÜRINGEN hätte dies noch viel weniger verstanden- , dass man einem Theater, in dem das Ballett nominiert wurde für den höchsten Theaterpreis der Republik, die öffentlichen Fördermittel um zwei Drittel kürzt.

Es wird stets dort zu Tode gespart, wo es nichts zu holen gibt.

Möge der Zorn der Heiligen Elisabeth über Euch kommen, über Euch, die Ihr das entschieden habt und die Ihr Euch schamlos in ihrem Glanze sonnt!